Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ habe ich vor vielen Jahren zum ersten Mal gelesen, kurz vor dem Abitur. Er gehört zur kleinen Gruppe jener Bücher, die ich tatsächlich ohne Pause, ohne jede Unterbrechung am Stück durchgelesen habe. Ohne dass ich ihn damals bereits auf dem „tierphilosophischen Auge“ wahrgenommen hätte, ist er mir heute genau deswegen erneut in die Hand gefallen, und genau betrachtet lenkt bereits die dtv-Ausgabe, die Franz Marcs „Tierschicksale“ auf dem Cover hat, den Blick in diese Richtung.
Die Erzählung setzt ein mit einem gefühlten Ende und einer bereits für sich genommen dramatischen Situation: Die Hauptfigur, deren Name unbekannt bleibt, findet sich, nach einem Besuch bei ihrem Bruder in einer Jagdhütte in den Bergen, in einer Welt wieder, die gewissermaßen über Nacht menschenleer geworden ist. Sie verlässt die Jagdhütte, findet aber schließlich nur eine riesige Glaswand, die sie wie eine gewaltige Kuppel von der Außenwelt trennt. Diese abgeschlossene Welt wird sie nie wieder verlassen, und ihre Aufzeichnungen, die Haushofer in Form des Romans erzählt, zeichnen ein Bild von ihrem zunächst ganz pragmatischen Überleben, das sich zunehmend schwieriger gestaltet: Die Nahrungsmittel gehen ihr aus, da sie viel zu spät beginnt, selbst Gemüse und Obst anzubauen; aber auch vermeintliche Kleinigkeiten wie das Zuneigegehen der Streichhölzer stellen sie vor existentielle Probleme. Die Tiere im Roman begleiten die Erzählerin stetig, ihre Sichtbarkeit und die subjektive Bedeutung für die Erzählerin steigern sich aber im Verlauf des Romans zu lebenswichtigen Beziehungen. Der Hund ihres Bruders, Luchs, ist zunächst ihr einziger Begleiter. Die erzählerischen Vorausgriffe, die seinen Tod andeuten, machen sein besonderes Verhältnis zur Erzählerin schmerzlich deutlich. Auch eine Kuh sowie ihr Kalb schließen sich nach einiger Zeit den beiden an, und auch eine eigensinnige Katze wird schließlich Teil der transspeziezistischen Gemeinschaft. Sie beschert der Erzählerin traumatische Angstzustände, da sie sich an die oft Tage dauernden Ausflüge der Katze nicht gewöhnen kann und in ständiger Sorge lebt: „Ich habe an derartigen Ängsten gelitten, solange ich mich zurückerinnere, und ich werde darunter leiden, solange irgendein Geschöpf lebt, das mir anvertraut ist. Über diese schwere Last habe ich immer geschwiegen. […] Es war eben der Preis, den man für die Fähigkeit bezahlte, lieben zu können.“ (65)
Über mehrere harte Winter und wiederholte Schicksalsschläge scheint sich das Leben der Erzählerin unter der Glasglocke zu stabilisieren, immer wieder werden auch die schönen Momente fern der Menschen und gemeinsam mit den Tieren hervorgehoben. Hinter der Glasglocke kann die Erzählerin einige andere Menschen beobachten, die aber unbeweglich verharren und schließlich wie tot umfallen. Wenige Seiten vor dem Ende tritt dann doch noch – ohne jede Erklärung und ebenso dramatisch wie kurz – ein weiterer Mensch in den Handlungsverlauf ein. Was dann folgt, dauert nur wenige Zeilen, ist aber wie nur wenige Texte seit der Zugfahrt, während der ich den Roman das erste Mal las, in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Ich gebe den Schluss hier nicht wieder, um nicht alles zu verraten, kann den Roman aber als „Pflichtlektüre“ jedem tierphilosophisch Interessierten nur wärmstens ans Herz legen.
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