„Auslöschung“ ist der erste Teil der Southern-Reach-Trilogie des US-amerikanischen Autors Jeff VanderMeer. Der Roman ist ein wuchtiger, fulminanter Text, der sich allenthalben an der Frage abarbeitet, wie das Verhältnis des Menschen zur übrigen Natur zu denken ist bzw. wie dieses Verhältnis besser nicht verstanden werden sollte. Erzählt wird die Geschichte einer namenlosen Biologin, die als Teil einer Expedition in ein merkwürdig verändertes Areal an der amerikanischen Küste geschickt wird, das von einer sich langsam ausbreitenden, membranartigen Grenze umgeben ist. Was sie dort vorfindet, sprengt alle Vorstellungskraft. Die dortige Natur ist auf eigentümliche Weise verändert. In ihren Berichten lässt sie keinen Zweifel an der Schönheit der unberührten Natur aufkommen, sie bemerkt aber auch mit Schrecken, dass diese unbekannte Welt zunehmend von ihr Besitz ergreift. Als Lesende/r erfasst man die Geschichte aus der Sicht der Biologin und ist daher geneigt, diese Person als ein stets mit sich selbst identisches Individuum zu denken. Anders ergeht es den übrigen Romanfiguren, die vor der verwandelten Biologin zurückschrecken. In unscheinbaren Nebensätzen wird klar, dass sich diese so vertraut gewordene Person vollkommen verändert hat; in den späteren Kapiteln wird dann beispielsweise deutlich, dass sie sogar eine Form der Bio-Lumineszenz entwickelt hat, und ihr Äußeres nur noch bedingt an den ursprünglichen Menschen erinnert, der sie einmal war.
So changiert VanderMeers Natur-Vorstellung permanent zwischen einer sehsüchtigen Romantik angesichts der anziehenden Schönheit der Tiere, Pflanzen und Landschaften und der beklemmenden Fremdheit, die diese Natur zugleich an sich hat. Was an dieser neuen Natur noch Mensch, was Tier und was Pflanze ist, kann kaum noch eindeutig festgestellt werden in dieser Welt ständig neuer Metamorphosen, in der die einst klaren Grenzen zwischen den Wesen verwischen. Auch die Protagonistin bemerkt diesen Prozess:
„Der Wind frischte auf, und es fing an zu regnen. Ich sah jeden Tropfen als perfekten facettierten flüssigen Diamanten fallen, der selbst in der Dunkelheit noch Licht spiegelte, ich konnte das Meer riechen und die anrollenden Wellen sehen. Der Wind schien etwas Lebendiges zu sei; er drang in jede Pore von mir ein und schien auch nach etwas zu riechen, er trug das Erdige der Gräser aus den Marschen mit sich. In der Enge des Turms hatte ich versucht, die Veränderung zu ignorieren, aber meine Sinne schienen immer noch allzu fein, allzu geschärft zu sein. Ich war dabei, mich anzupassen, aber in diesem Moment erinnerte ich mich daran, dass ich nur einen Tag zuvor noch eine andere gewesen war.“ (91)
Dieser Veränderung rätselt sie immer weiter nach, und es fesselt ungemein, diesen schwierigen, stets nur lückenhaften Verstehensversuchen zu folgen. Und je weiter die Biologin in diesem nie endenden Prozess der sie umgebenden Natur gleichgestaltet wird, umso näher rückt ihr die Tiere und Pflanzen. An einem Kanal beobachtet sie einige Delfine:
„Als sie an mir vorbeiglitten, legte sich der mir Nähere leicht auf die Seite und starrte mich mit einem Auge an – ein Auge, das selbst in diesem kurzen Aufblitzen nichts Delfinhaftes hatte. Es war schmerzlich menschlich, ja sogar vertraut.“ (117)
Kurz darauf findet die Biologin die Überreste eines Menschen, wie es scheint. Sie wirken wie die Überbleibsel einer Häutung, aus der etwas gänzlich Neues entstanden ist. Schnell wird der Biologin klar,
„… dass der Tod hier nicht das Gleiche war wie auf der anderen Seite der Grenze.“ (172)
Am Ende sind bei weitem nicht alle Fragen geklärt, die sich aus diesem Wechelspiel von Mensch und Natur ergeben. Diese Offenheit enttäuscht dennoch nicht (natürlich auch, weil zwei Fortsetzungen folgen). Jeff VanderMeers Roman ist eine kühne und zutiefst beeindruckende Lektüre. Eine schlichte Naturromantik ist nach dieser Lektüre kaum noch möglich, zeigt sie doch immer zugleich, was eine Nähe zur Natur bedeuten kann, welche Verheißung sie trägt, aber eben auch, welchen Preis sie kostet.
Jeff VanderMeer: Auslöschung. Southern-Reach-Trilogie Bd. 1, München: Droemer Knaur 2017 [2014]
Was passiert, wenn man ein Teil der Natur wird? – das ist für evergreenstories das spannende Projekt dieses Buches.
Meine Phantasien gingen bisher eher dahin, dass durch diese verrückte Hypnotisierung alle Leute ihren Knacks bekommen und „die Biologin“ langsam, aber bis zum Ende schwer geschädigt, aufwacht. Zum Beispiel dieser Pseudo-Zwang, alle Tagebücher für das versteckte Zimmer im Turm zu schreiben, zum Beispiel ihre vage Erinnerung, einmal einen Namen gehabt zu haben. (Am Luminiszieren habe ich mich eher gefreut, dachte, das ist doch der normale Zustand des Menschen, endlich merkt es jemand ein bischen, endlich ist es auch mal sichtbar. Aber damit bin ich vielleicht schon sehr in evergreenland.)
LikeLike