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Nature Writing Evergreen No. 3 | „Alles geht durcheinander, man kann diesen Begriff ‚Natur‘ eigentlich nicht verwenden.“

Vielleicht ist dem, was philosophisch so beladen mit Bedeutung ist wie der Begriff der Natur, nur noch literarisch angemessen nachzukommen. Anders kann man es wohl nicht erklären, dass dieser „Versuch über Natur“ einerseits so knapp (keine 130 Seiten) und dennoch ausgesprochen feinsinnig, regelrecht poetisch ausfällt. Die Lektüre ist zunächst ungewohnt, da eine traditionelle Lesehaltung, die auf eine klare Systematik oder eine Storyline aus ist, systematisch enttäuscht wird. Es sind Fragmente, kurze Beobachtungen, Dialoge, Kurzessay, die gerade in ihrer Unverbundenheit ein rundes Bild formen. Auch muss sich der Lesende erst einmal an die fast schon betonte Langeweile gewöhnen, die sich bei genauerem Hinsehen als sehr angenehm herausstellt. Maier und Büchner heben immer wieder hervor, wie diffus „Natur“ als Verstehenskategorie ist, aber ihr Stil zeigt zumindest: Natur ist wesentlich unprätentiös, wer sie sucht, findet sie weniger in den spektakulären Formen als in den stillen, randständigen Ausprägungen des Natürlichen. Daher macht es auch nichts aus, dass gerade jene „natürlichen“ Kleinigkeiten, die dem Alltagsblick oft entgehen, hier umso detaillierter aufgegriffen und gewürdigt werden, bis man seinen eigenen Blick auf die Natur hier unwillkürlich und gewissermaßen ironisch zitiert wiederfindet, wenn etwa daran erinnert wird, dass die alltägliche, und permanent umgebende Natur, etwa die lokale Vogelwelt nur noch den wenigsten bekannt ist. Eine Amsel können die meisten zwar noch vom Rotkehlchen unterscheiden, aber wer kennt noch Kleiber, Grünfink, Dompfaff und Stieglitz? Bullau – ein kleiner Ort im Odenwald, stiftet den Titel für diesen kleinen Band. Er ist eine heilsame Erinnerung daran, dass

Und auch die philosophische Reflexion bleibt dabei nicht auf der Strecke, da die Autoren gerade den Ambivalenzen des Naturbegriffs nachgehen:

„Was ist das überhaupt, Natur? Wieso subsumieren wir einerseits einen Hund nicht unter diese Naturkategorie, aber einen Dachs? Und […] was wollen wir an jenem Ort finden?“

„Wir haben keine Sehnsucht nach Natur. Wir haben Sehnsucht nach etwas, das teilweise in ihr zu finden ist.“

Die großen Gedanken, die man in diesem Buch sucht, sind in diesem Fall die ganz kleinen, unaufdringlichen Einsichten, die dafür umso ausgewöhnlicher sind, und dann eben doch wieder vollkommen gewöhnlich. Gemessen an dem Nature-Writing-Hype, den wir zur Zeit erleben und der durchaus nicht immer allzu Sinnfälliges produziert, ist dieses Bändchen eine ausgesprochen angenehme Ausnahme.

Andreas Maier, Christine Büchner: Bullau. Versuch über Natur, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008.

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